Vardeilsen
Portrait
...Vardeilsen: 760 oder 800 Jahre alt?
Im Jahre 1245 wurde »Verdelsen« erstmals in einer Corveyer Chronik erwähnt. Dies nahmen die Bewohner des Dorfes zum Anlass im Jahr 1995 in großem Stil die 750 Jahr-Feier zu veranstalten, ein Fest wie es noch nie im Dorf gegeben hat. Doch bereits einige Wochen später wurde von einem Wissenschaftler in einem Schreiben an den Ortsbürgermeister mitgeteilt, dass der Ort wahrscheinlich bereits 1205 in einer Schrift in der ein »Hermannus de Verdeleseim« erwähnt wurde, gemeint war, somit könnten die Vardeilser bereits 2005 ihr 800 jähriges Bestehen feiern!! Sei`s drum...
Vardeilsen liegt ca. 6 km westlich von Einbeck am nördlichen Rand des Ilmebeckens, durch das es durch eine Bodenwelle getrennt ist. Im Norden grenzt die Feldmark an die ehem. Landesgrenze zwischen dem Königreich Hannover und dem Herzogtum Braunschweig, hier war bis zum Jahr 1974 auch die Kreisgrenze zwischen den Kreisen Einbeck und Gandersheim. Durch Vardeilsen geht die Landesstraße die die B 3 mit dem Wesergebiet westlich von Stadtoldendorf verbindet, in früherer Zeit eine segensreiche Verbindung zur »großen, weiten Welt«, heute aufgrund des stark zugenommenen LKW-Verkehr eine arge Belastung der Einwohner.
Vardeilsen gehörte seit der Gründung immer zum welfischen Besitz, nur in der Zeit von 1381 bis 1523 war das Dorf an den Bischof von Hildesheim verpfändet. Alle Kriegszüge des Mittelalters, die die reiche Stadt Einbeck treffen sollten, hatten Rückwirkungen auf Vardeilsen. Vardeilsen war nie ein Kirchendorf, doch gegen herumstreunendes Kriegsvolk wurde mitten im Ort die Wehrkapelle St. Georg auf einer künstlichen Anhöhe gebaut. Dieser kleine Bau aus Feld- und Sandsteinquadern mit meterdicken Mauern erinnert mit dem wuchtigen kleinen Turm an eine Burg, in die sich die kaum mehr als 100 Bewohner in unruhigen Zeiten geflüchtet haben.
Wenig ist aus der Geschichte Vardeilsens in der Chronik erhalten. Die unruhige Napoleonische Zeit brachte aber nicht nur Entbehrungen, sondern Vardeilsen bekam 1811 die erste Dorfschule (später Lehrerwohnhaus) mit dem Lehrer Friedrich Gronau aus Hellental. Bis dahin gingen die Schulkinder ins benachbarte Avendshausen zur Schule. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig zogen die verbündeten Truppen der Preußen und Russen durch das Dorf um Napoleon zu verfolgen. Unter diesen Soldaten waren Baschkiren, »dies waren rohe Menschen, die meist in Schaffelle gekleidet waren und die im Genuß des Fleisches und des Branntweines keine Grenzen kannten.« Wer die feierfreudigen Vardeilser kennt, kann gewisse Parallelen erkennen...
Danach kam eine ruhige Zeit, lediglich die Verkoppelung 1864 sorgte für Ärger, jeder fühlte sich benachteiligt und ein teures Schiedsgericht musste schlichten. Der alte Dorfkern Vardeilsen blieb über die Jahrhunderte fast unverändert, erst um die Jahrhundertwende 1899/1900 wurde die erste Siedlungsstraße gebaut, sie heißt noch heute entsprechend der damaligen Haarmode »Schnurrbartstraße«, sicher in Deutschland ein einmaliger Name. Danach entwickelte sich das Dorf aufgrund der Nähe zu Einbeck enorm weiter, die Bevölkerung stieg von 100 Einwohnern auf mittlerweile 370. Die Vardeilser sind gesellige Leute und die örtlichen Vereine bestimmen das kulturelle Leben. Es wird auch noch heute viel auf Gemeinsinn gegeben, die Grillhütte der örtlichen Vereine und das vereinseigene Sporthaus des Vardeilser Sportvereins zeugen davon. Leider wurden in den vergangenen Jahren viele Einrichtungen im Dorf geschlossen, 1974 die Schule, die Poststelle 1990, die Zahlstelle der Bank 1994, der Wasserbeschaffungsverband 2003; auch gibt es keinen Dorfkrug mehr; aber noch ist Vardeilsen kein reines »Schlafdorf«. Neben den wenigen Vollerwerbslandwirten gibt es heute noch einige Handwerksbetriebe, die sich der modernen Zeit angepasst haben und Leute im Dorf beschäftigen.
Die Vardeilser sind sich ihrer 760 (oder 800) jährigen Geschichte bewusst und gehen zuversichtlich in die Zukunft. Möge diese dem Dorf Gutes bringen.
Vardeilser Chronik in Kurzform
1245 Vardelsen oder 1205 »Hermannus von Verdeleseim«
1381 Herzog Albrecht II (tumSolte) verpfändet Vardeilsen an den Bischof Gerhard von Hildesheim (bis 1523)
1538 Pastor Johannes Dornwelle wird erster evangelischer Pastor in Markoldendorf (und damit auch von Vardeilsen)
1754 Spielende Kinder legten in Hampens Scheune Feuer, 6 Höfe brannten vollständig ab
1788/89 Bis in die ersten Apriltage anhaltender starker Winter
1792 Erster Schnee am 22 September, die volltragenden Obstbäume zerbrachen
1811 Gründung der ersten Schule
1869 4. Juli, feierliche Einweihung des neuen Kirch (Fried-)-hofes
1883 10 November, Anpflanzung der Eiche vor der St. Georgskapelle anlässlich des 400. Geb. Martin Luthers.
1885 Bau des neuen Schulhauses auf dem ehem. Kirchhof.
um 1900 Baubginn der 1. Siedlungsstraße (Schnurrbartstraße)
1914 Erster Weltkrieg, insg. 66 Kriegsteilnehmer, gefallen 11, vermisst 1 (Einwohnerzahl 1905 = 279)
1939 Zweiter Weltkrieg, insg. 47 Kriegsteilnehmer, gefallen 10, vermisst 7, aus der Flüchtlingsgemeinde gefallen 12, vermisst 5 (Einwohnerzahl 1925 = 264, 1947 = 438, davon 198 Flüchtlinge, 36 Evakuierte.
1946 erster Trecker im Dorf (Rudolf Kahle)
1960 Bau des Kalthauses
1965 Bau des neuen Feuerwehrgerätehauses
1966 Baubeginn der Siedlungsstraße Kampstraße
1970 Abriß des Gemeindehauses (Die Burg)
1974 Gebietsreform, Vardeilsen verliert die Selbstständigkeit, letzter Gemeinde- und erster Ortsbürgermeister Karl Schellworth
1974 Bau der Friedhofskapelle
1978 Glasfenster St. Georg in der Ostapsis der Wehrkapelle durch G. Wilhelms, Einbeck
1981 Bau der Grillhütte und des Dorfgemeinschaftshauses
1983 Erschließung der Siedlungsstraße »Über den Schneiderhöfen«
1995 750 Jahr-Feier
1999 Erschließung der Siedlungsstraße »Am Mönschsweg«
2003 Auflösung des Wasserbeschaffungsverbandes »Vardeilsen-Andershausen«
Wilfried Kappei (Ortsheimatpfleger)